Ländlich normal?!

Denk- und Machanstöße für die kommunale Planungspraxis in ländlichen Räumen aus Postwachstumsperspektive

Von Sebastian Bohnet, Anton Brokow-Loga, Marius Hübler, Dominique Just, Anja Kühl, Yasmine Willi*

Der ländliche Raum blüht auf: Es entstehen immer mehr kreative und innovative Initiativen und Projekte, die auf veränderte Lebens- und Wirtschaftsweisen abzielen und die auf Kooperation statt Konkurrenz setzen. Häufig gedeihen solche Ideen im Zuge von Bewegungen wie Transition Towns oder Ökodörfern, die alternative Lebens- und Wirtschaftsweisen erproben. Sie folgen dem Slogan „think global, act local“ und stärken kooperatives Wirtschaften, etablieren regionale Versorgungsstrukturen und fördern Gemeinschaft., Häufig entstehen so attraktive Angebote, die sich in erster Linie an die ansässige Bevölkerung richten: genossenschaftlich organisierte Lebensmittelläden, Tausch- und Leihbörsen, öffentliche und gemeinschaftlich genutzte Werk- und Arbeitsstätten, autarke Energiesysteme oder Regionalwährungen.

Mit ihrem unkonventionellen Ansatz fordern diese Ideen und Projekte etablierte Planungspraxen heraus und hinterfragen das scheinbare Naturgesetz, dass Kommunen immerzu wachsen müssen, um als lebenswerte Orte bestehen zu können. Denn diese bottom-up initiierten Projekte regen nicht nur dazu an, den eigenen Konsum kritisch zu betrachten. Sie hinterfragen auch die kommunale Planungspraxis und überprüfen, inwiefern Wachstumsunabhängigkeit und Werte wie Suffizienz und Postwachstum als Zieldimensionen in Entwicklungsstrategien verankert und umgesetzt werden können.

Dieser Beitrag greift die kritische Betrachtung des derzeitigen Planungssystems auf und möchte dazu anregen, konventionelle Praktiken einer wachstumsorientierten Planung zu thematisieren, zu hinterfragen und zu verändern. Nicht zuletzt machen die gegenwärtigen multiplen Krisen eine Transformation von Planungspraktiken und -strukturen unerlässlich.

Die Förderung klimaverträglicher und zukunftsfähiger Lebens- und Wirtschaftsweisen muss im Vordergrund stehen. Deshalb sollte eine kommunale Planung gefördert werden, die sich an Suffizienz- und Postwachstumswerten orientiert.Das bedeutet, Strukturen zu schaffen, die klimaverträgliche Lebens- und Wirtschaftsweisen ermöglichen sowie vereinfachen, und gleichzeitig umweltschädigende Praktiken zu verhindern. Statt allein auf individuelle Verhaltensänderungen zu setzen, hat eine suffizienz- und postwachstumsorientierte Planung zum Ziel, effektive Bedingungen für zukunftsfähige Lebenswelten zu gestalten. Wir fokussieren uns dabei auf ländliche Räume, denn gerade diese Räume werden in der Debatte um die sozial-ökologische Transformation häufig übersehen.

Im Folgenden machen wir Vorschläge für fünf Bereiche: 1) Mobilität, 2) soziale Infrastrukturen, 3) Versorgung mit Waren des täglichen Bedarfs, 4) kommunale Wirtschaftsförderung und 5) Wohnen und Neubau. Für jeden Bereich diskutieren wir zuerst die vorherrschenden Dilemmata, mit denen sich kommunale Planer/innen konfrontiert sehen und zeigen auf, welche wachstumsorientieren Zwänge hinter diesen stecken. Anschließend präsentieren wir alternative, wachstumsunabhängige(re) Ansätze, mit denen auf die herkömmliche Planungspraxis reagiert werden könnte. Wir diskutieren praktische Beispiele, die schon unter heutigen Bedingungen umgesetzt werden und die als Inspirationsquelle für andere Kommunen gelten können.

Der Bau von Einfamilienhäusern, neuen Straßen oder auch das Wachstumsparadigma: Was in der Planung oft als „normal“ hingenommen wird, wollen wir mit diesem Themendossier hinterfragen. Dabei sind weder die Themen noch die angeführten Beispiele als vollständig zu verstehen. Vielmehr wollen wir Diskussionsanstöße liefern und ins Gespräch darüber kommen, wie es gelingen kann, in ländlichen Räumen selbstbewusst und wachstumskritisch für neue Normalitäten zu sorgen.


Postwachstum in ländlichen Räumen – Mobilitätsvisionen (Valentina Schuster)

Ländliche Lebenswelten in Bewegung bringen

Wie können Planung und öffentliche Mobilitätsangebote die Abhängigkeit vom Auto in zersiedelten Regionen verringern und soziale Teilhabe ermöglichen? Welche Mobilitätsangebote braucht es?

Wie kann dem strukturellen Mobilitätszwang in ländlichen Räumen planerisch entgegengewirkt werden?

Ländlich normal?! Weite Wege und Autoabhängigkeit

Mobilität in ländlichen Räumen ist heutzutage an vielen Orten kaum ohne eigenes Auto denkbar. Während Städte einen niedrigschwelligen Zugang zu sozialer Daseinsvorsorge und Mobilität bieten, gibt es in ländlichen Räumen eine weniger dichte alltägliche, soziale und kulturelle Infrastruktur. Die dort lebenden Menschen müssen oft deutlich weitere Wege zur Arbeit, zur Schule oder zum Einkaufen zurücklegen. Ländliche Räume weisen zudem nach wie vor eine hohe Unterversorgung mit öffentlichen Mobilitätsangeboten auf, sodass viele Menschen auf ein eigenes Auto angewiesen sind. Dabei gilt: je peripherer der Wohnort, desto mehr Kilometer legen die dort lebenden Menschen im Schnitt für ihre Alltagswege zurück. Während in Metropolen 38 Prozent aller Wege mit dem Auto zurückgelegt werden, sind es in ländlichen Regionen bis zu 70 Prozent.[1] Mobilität bedeutet aber vor allem in ländlichen Räumen soziale Teilhabe und muss daher ein Kernaspekt einer postwachstumsorientierten Entwicklung sein. Besonders herausfordernd dabei ist, dass die Nachfrage nach öffentlicher Mobilität in ländlichen Räumen aufgrund der geringeren Bevölkerungsdichte sehr schwankend sein kann, was sich problematisch auf deren Finanzierung auswirken kann. Mobilitätslösungen für ländliche Räume erfordern daher ein erhöhtes Maß an Flexibilität und die intelligente Vernetzung verschiedener Verkehrsmittel.

Wachstumskritik: Wachstumsdrang schafft Autozwang

Seit Jahrzehnten steht das Auto – insbesondere in ländlichen Räumen – im Zentrum einer wachstumszentrierten Verkehrsplanung, was u. a. dazu führte, dass seit den 1990er Jahren in Deutschland mehrere „nicht profitable“ Bahnstrecken und Bahnhöfe stillgelegt und sogar zurückgebaut wurden. Die wachstumszentrierte Orientierung an Nachfrage und Profitabilität des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) befeuert diese Entwicklung, sodass der Rückbau öffentlicher Mobilitätsangebote bei gleichzeitigem Ausbau der Verkehrsinfrastruktur für den motorisierten Individualverkehr zu automobilen Pfadabhängigkeiten und einem weiteren Rückgang der Nachfrage nach öffentlicher Mobilität geführt hat, da nun immer mehr Menschen in ländlichen Räumen nicht ohne eigenes Auto mobil sein können – ein Teufelskreis.

Gleichzeitig hat ein Zentralisierungsprozess stattgefunden: Wichtige soziale Infrastruktureinrichtungen wie Schulen, medizinische Versorgungszentren oder Behörden wurden auf wenige Ortschaften, Ballungszentren oder nächstgrößere Städte konzentriert. Die Zahl der Einkaufsmöglichkeiten ist in vielen ländlichen Regionen zurückgegangen. Ein weiterer Wachstumszwang für ländliche Automobilität geht von der ländlichen Wohnbebauung aus – viele Wohngebiete und Eigenheime werden selbstverständlich mit genügend Parkplätzen (sogar für mehrere Autos), aber selten mit eigenen Bushaltestellen oder E-Bike-Stationen geplant. Hinzukommt die räumliche Vereinzelung der Eigenheime, sodass die zurückzulegenden Wege eher länger als kürzer werden. Nicht zu vergessen ist auch die tiefe kulturelle Verankerung der Automobilität in der bundesdeutschen (Mehrheits-)Gesellschaft, die maßgeblich dazu beiträgt, dass z. B. viele Haushalte mehrere Autos besitzen und diese selbst für kurze Strecken nutzen, die auch zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegt werden könnten.

Denk- und Machanstöße: Die ländliche Mobilitätswende planen

Auch „auf dem Land“ sollten Bus, Bahn und Rad das Rückgrat postwachstumsorientierter Mobilität bilden. Dazu gehören die Erweiterung der Liniennetze, die Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken, sowie die Verdichtung von Taktungen und Vernetzung von Fahrplänen. Es braucht kurze Umsteigezeiten mit aufeinander abgestimmten Takten. Dafür muss der Ausbau des öffentlichen Bus- und Bahnverkehrs über Gemeinde- und Tarifgrenzen hinweg geplant werden und sich zunächst auf die Hauptachsen fokussieren, sodass das bequeme und schnelle Pendeln z. B. zum Arbeitsplatz ermöglicht wird. Um jedoch gleichzeitig vielfältige Mobilitätsbedürfnisse zu erfüllen, ist es andererseits wichtig, dass sich ÖPNV-Takte langfristig nicht ausschließlich an Stoßzeiten im Schul- und Berufsverkehr oder an den Hauptachsen orientieren, sondern auch spezifische Angebote z.B. für Freizeitverkehre geschaffen werden. Da die Nachfrage nach öffentlichen Mobilitätsangeboten „auf dem Land“ aber außerhalb der Stoßzeiten sehr schwankend sein kann, bieten sich flexible und bedarfsgerechte Lösungen wie Anrufbusse, vergünstigte Zubringer-Sammeltaxis oder kommunales Carsharing als Ergänzung zum ÖPNV an. Als weitere Ergänzungen können selbstorganisierte oder kommunale Mitfahrvermittlungen, die Kombination von Personen- und Lieferverkehren (wie beim Kombibus in der Uckermark) oder (E-)Bikesharing-Angebote dienen. Zudem braucht es auch in ländlichen Räumen ein durchgängiges Netz an sicheren und direkten Radschnell- und -fernwegen, das nicht-motorisierte Alltags- und Freizeitmobilität ermöglicht.

Ländliche Mobilität in der Postwachstumsgesellschaft wird dabei (auch) in Zukunft nicht über ein einziges Verkehrsmittel möglich sein und das Auto wird auch weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Für einen zukunftsfähigen Wandel gilt es deshalb, A) Automobilität stärker zu kollektivieren, z. B. in Form von Carsharing-Angeboten, und B) die verschiedenen Verkehrsmittel stärker als bislang miteinander zu einem Gesamtsystem zu vernetzen, z. B. durch digitale Mobilitätsplattformen oder flexible Zubringerverkehre. Mobilitätsplattformen sollten dabei in kommunaler, gemeinwohlorientierter statt privater, profitorientierter Hand sein, um diese – statt an Profitinteressen – an den Bedürfnissen der Einwohner/innen sowie sozial-ökologischen Kriterien ausrichten und ihren Betrieb langfristig sicherstellen zu können.

Gleichzeitig sollte der Blick aber auch auf die Ablösung sogenannter „erzwungener Mobilität“ gelenkt werden. Denn Mobilität ist in den seltensten Fällen reiner Selbstzweck, sondern dient fast immer der Befriedigung von Bedürfnissen, also dem Zurücklegen von Wegen z. B. zur Arbeit, Schule, zu Einkaufs- oder Freizeitmöglichkeiten. Um ländliche Mobilität vom Wachstumszwang zu befreien, ist es daher zentral, auch die Reduktion der Wegeketten und zurückzulegender Strecken insgesamt in den Blick zu nehmen. Dafür ist es notwendig, A) Infrastrukturen der kommunalen und sozialen Daseinsvorsorge durch die (Um-)Nutzung vorhandener bzw. ungenutzter Infrastruktur wieder ein Stück weit zu dezentralisieren und B) kommunale Verkehrsplanung nicht als isoliertes Planungsfeld, sondern als Teil einer integrierten postwachstumszentrierten Planung zu begreifen. Eine solch integrierte Planung beinhaltet nicht nur die Zusammenarbeit zwischen Gemeinden, Kreisen und der Landesebene, sondern bspw. auch die Förderung von Homeoffice und ländlichen Co-Working-Räumen, mobilen Dienstleistungen wie dem Medibus, oder ländlichen Versorgungszentren, die zu Fuß oder mit dem Rad erreichbar sind. Darüber hinaus muss C) die kulturell tief verankerte Dominanz der Automobilität abgelöst werden, z. B. durch Imagekampagnen und Anreizsysteme für die Nutzung nachhaltiger Verkehrsmittel. Auch wenn für letzteres mindestens überregionale, eher noch bundesweite politische Anstrengungen nötig sind, können einzelne Kommunen hierbei Pionierarbeit leisten.

Gute Beispiele

Dörpsmobil in Schleswig-Holstein: https://www.doerpsmobil-sh.de/

Zum Weiterlesen

Halef, M.; Willi, Y. (2021): Suffizienzorientierte Mobilitätslösungen für den ländlichen Raum der Schweiz. In: N + L inside (3), 15.


Postwachstum in ländlichen Räumen – Visionen für soziale Infrastrukturen (Valentina Schuster)

Neue Modelle machen Schule

Warum müssen kleinere Gemeinden zum Erhalt ihrer Bildungseinrichtungen alle paar Jahre neue Einfamilienhausgebiete auf der grünen Wiese ausweisen?

Wieso können Grundschulen als gut ausgestattete (Bildungs-)Räume nicht auch anderen Generationen zur Verfügung stehen?

Ländlich normal?! Einfamilienhäuser gegen Schulschließungen

In kleinen ländlichen Gemeinden ist eine eigene Grundschule oft der ganze Stolz des Ortes – und steht für intakte Dorfgemeinschaften, attraktive Lebensbedingungen für junge Familien und damit Zukunftsfähigkeit. Eine Schließung bringt nicht nur längere Schulwege für die Kinder, sondern ist auch bei den Erwachsenen mit einem großen emotionalen Verlust verbunden. So verwundert es nicht, dass Bürgermeister*innen und ihre Gemeindevertretungen oft viele Hebel in Bewegung setzen, die Schüler*innenzahlen in ihren Grundschulen möglichst auf einem konstanten Niveau zu halten, um sie so vor einer nicht selbstbestimmten Schließung zu bewahren.

Ein gutes Wohnraumangebot bildet die Grundvoraussetzung dafür, junge Familien mit Kindern in den ländlichen Orten zu halten oder neue in die Region zu ziehen. Dabei geht es nicht nur um einfachen Wohnraum für einen Lebensabschnitt. Nein, ein „richtiges“ Zuhause mit einer langjährigen, vielleicht sogar lebenslangen Bindung an den Ort wird meist beworben. Ein „richtiges“ Zuhause, welches sich dazu eignet, eine Familie zu gründen und Kinder großzuziehen, so konstruiert es unsere Gesellschaft gern, kann hier nur das eigene Einfamilienhaus am Rande des Dorfes sein. Mit viel Platz und individuellen Gestaltungsspielraum für das eigene Lebensumfeld.

Und so lässt sich in unseren Dörfern immer wieder ein ähnliches Bild beobachten. Gemeindevertretungen beschließen, Acker für Acker in Bauland umzuwandeln, damit die Flächen anschließend vornehmlich an Familien zum Bau eines Einfamilienhauses verkauft werden können. In der Argumentation, warum dieses Stück Land nun dringend bebaut werden müsse, wird ein ums andere Mal der Kindergarten und die Grundschule herangezogen, denen in zwei bis drei Jahren ohne diese neuen jungen Familien die Schüler/innen fehlten und sie von Schließung bedroht wären.

Wachstumskritik: Einseitige Ausrichtungen führen zu Wachstumsabhängigkeiten

Die sozialen Infrastrukturen der ländlichen Gemeinden werden in dieser Argumentation zum Wachstumstreiber. Angekurbelt durch die Zahl an benötigten Kindern in Kindergärten, Grundschulen und Nachmittagsbetreuungsangeboten werden Lebensmodelle beworben und entstehen Pfadabhängigkeiten, welche zu Flächenfraß und ressourcenintensiven Lebensweisen führen. Doch soll hier nicht der Wunsch nach „kurzen Wegen für kurze Beine“ der Kommunen kritisiert werden. Bildungseinrichtungen in Wohnortnähe sind auch aus einer Postwachstumsperspektive ein sinnvolles Ziel. Vielmehr soll einerseits die einseitige Ausrichtung der Infrastrukturen (bspw. Schulgebäude) auf eine einzige Nutzungsmöglichkeit kritisiert werden und andererseits die symbolisch überhöhte Darstellung von Einfamilienhäusern und die bestehenden Zusammenhänge beleuchtet werden. In einem so ausgerichteten System wird das eine zur Rechtfertigung des anderen benutzt und eine Unausweichlichkeit skizziert, die keine Alternativen und kreativen Ansätze zulässt.

Denk- und Machanstöße: Soziale Infrastrukturen flexibler gestalten und generationenübergreifend nutzen

Ein Ansatz diese Wachstumsspiralen zu unterbinden, wäre eine Nutzungsdiversifizierung von Schulgebäuden und eine Förderung von lebenslangem Lernen. So könnten Menschen jeden Alters die zur Verfügung gestellten Infrastrukturen gemeinsam nutzen und sie wären bei niedrigen Kinderzahlen nicht gleich von einer Schließung bedroht. Die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Trägern z.B. Schulämter, Sozialverbände, Seniorenvereine, Musikschulen, Vereine für kulturelle oder politische Bildung etc. wären auszubauen und das gegenseitige Vertrauen zu stärken. Die Konzepte von Ganztagsschulen bieten hier gute Beispiele, jedoch sind die Freizeitangebote meist lediglich auf die Kinder, welche auch die Schule besuchen beschränkt. Warum können nicht auch andere Personen z.B. für einen Sprachkurs am Nachmittag, ein offener Lesekreis, ein Handarbeitstreff, Selbsthilfegruppen oder Gruppen für politisches Engagement oder Vereinstätigkeit diese Räume nutzen? Beim Bau oder der Sanierung von Gebäuden sollte zudem viel stärker in Modulbauweisen gedacht und gearbeitet werden, welche flexibel einsetzbar den entsprechenden Bedürfnissen angepasst werden können, z. B. durch verstellbare Wände, Tische und andere Ausstattung. Einseitige Wirtschaftlichkeitsberechnungen von Gebäuden aufseiten der Schulträger müssten hier durch eine andere Gewichtung der Prioritäten und Offenheit gegenüber Nutzer/innengruppen abgelöst werden. Größer gedacht müsste dieser Prozess eingebettet sein in eine generelle Umstrukturierung kommunaler Haushalte.

Positive Beispiele

  • Bildungscampus in der Gemeinde Tarp: Vernetzung aller Bildungsangebote verschiedener Einrichtungen in generationenübergreifenden Räumen: www.bildungscampus-tarp.de
  • DörpsCampus in Klixbüll: Anbau an die Grundschule, um flexibel weitere Räumlichkeiten für Bildungs- und Begegnungsangebote unterschiedlicher Trägerstrukturen nutzen zu können.

Zum Weiterlesen

Willi, Y. (2020): Suffizienz in ländlichen Räumen. In: Flohr, M.; Markus, L. (Hrsg.): Suffizienz an Hochschulen im ländlichen Raum. Berlin, 10-12.


Postwachstum in ländlichen Räumen – Visionen für Wirtschaftskreisläufe (Valentina Schuster)

Anger, ackern, ausprobieren statt Discounter auf der grünen Wiese.

Welche Zusammenhänge bestehen zwischen Konsumgewohnheiten und Dorfentwicklung?

Welche neuen Formate und Orte der ländlichen Grundversorgung gibt es?

Wie können Kommunen Initiativen und Ideen zur Stärkung regionaler Wirtschaftskreisläufe unterstützen?

Ländlich normal?! Mit dem Auto zum Einkauf auf die grüne Wiese

Wo und wie kauft man in Deutschland Lebensmittel? – Vor allem in immer weniger, aber immer größer werdenden Discountern und Supermärkten. Und dort findet man immer mehr Produkte, die „aus der Region“ kommen. Gerne auch in Bio-Qualität. Aber unterstützt man mit dem Kauf wirklich die Landwirtschaft um die Ecke? Also diejenigen, die die Kulturlandschaft gestalten, in der wir leben?

Früher traf man genau jene Landwirtinnen und Landwirte auf dem Wochenmarkt. Der Marktplatz ist zwar in ländlichen (Klein-)Städten überall noch präsent, kommt seiner Funktion jedoch immer seltener nach, sondern wird häufiger als Parkplatz oder für Festveranstaltungen genutzt. Das gleiche Spiel in den Dörfern: Wo einst der Dorfkonsum oder der Tante-Emma-Laden seinen festen Platz hatte, findet man heute Leerstand, Wohnnutzung oder Dienstleistungen.

Auch die soziale Funktion ist in die Supermärkte und Discounter abgewandert: auf ein Schwätzchen beim Piepen der Scannerkasse. Alternative: Wocheneinkauf als Überlandtour mit dem PKW: Eier hier, Obst dort und dann noch zum Milchautomaten zwei Dörfer weiter…

Wachstumskritik: Im Hamsterrad der Konkurrenz zu Flächenverbrauch und Funktionsverlagerung

Supermärkte und Discounter zieht es seit Jahren aus den Ortskernen raus auf die grüne Wiese. Die Folge: steigender Flächenverbrauch und Abhängigkeit vom Auto, bei gleichzeitigem Leerstand und Funktionsverlust in den Ortskernen. Die großen Ketten definieren die Standards und Mengen im Einkauf, die sie über den Weltmarkt beziehen können. Landwirtinnen und Landwirte produzieren daher in immer größeren Maßstäben ebenfalls oft für den überregionalen Markt bzw. große Weiterverarbeiter. Die Konsumentinnen und Konsumenten fordern eine permanente Verfügbarkeit von Lebensmitteln in gewohnter Qualität und zu günstigen Preisen. Kommunen ermöglichen das Wachstum der Ketten, um sie nicht an die Nachbargemeinde zu verlieren. Entstanden ist ein sich gegenseitig verstärkendes System, was vor Ort noch andere Sogwirkungen entfalten kann: Der Supermarkt vorm Ortsschild mit großem Parkplatz lässt auch die Apotheke dorthin ziehen. Daneben ist noch Platz – es entsteht ein Ärztehaus.

Denk- und Machanstöße: Die alte Dorfkneipe wird Drehscheibe für regionale Lebensmittel

Es gibt viele alternative Formen der Lebensmittelversorgung: Angefangen beim (selbstorganisierten) Dorfladen oder Mitgliederladen über die Verteilstation einer Solidarischen Landwirtschaft bis zur Übernahme des durchorganisierten Modells der „Marktschwärmerei“. Auf regionaler Ebene setzen darüber hinaus Regionalwert-AGs oder Ökomodellregionen an. Alle Ansätze unterscheiden sich hinsichtlich Aufwand, Verbindlichkeit, sozialer Interaktion und Einsatz digitaler (Bestell-)Systeme.

Diese Alternativen brauchen Orte, an denen Menschen und Lebensmittel zusammenfinden können. Oft lohnt hierbei ein Blick in die Vergangenheit des Dorfes: Der Dorfanger, auf dem früher Tiere zusammengetrieben oder gemeinsam Wäsche gewaschen wurde, ist Sinnbild für Almende oder Commons (siehe auch Beispiele unten). Warum hier nicht einen Gemeinschaftsgarten anlegen? Oder das alte Backhaus reaktivieren: Schon immer war es Ort der kollektiven Lebensmittelproduktion. Beim offenen Backtreff kann man über Rezepte fachsimpeln und frisches Brot mit nach Hause nehmen. Die leerstehende Dorfkneipe kann als Verteilstation einer Solidarischen Landwirtschaft genutzt werden. In der Küche, wo früher Pommes frittiert wurden, gibt es nun Workshops, wie man Lebensmittel haltbar macht. Feierte man im angrenzenden Saal über Jahrzehnte goldene Hochzeiten, kann man heute darin auch gebrauchte Kleider tauschen. Weitere Nahversorgungsfunktionen etwa Abholmöglichkeiten für Pakete oder Medikamente aus der Apotheke, die zwei Dörfer weiter liegt lassen sich kreativ und bedarfsspezifisch umsetzen. Ähnlich wie im Abschnitt zu der Nutzung von Schulen und Kitas, ist hier Einfallsreichtum in Richtung Mehrfachnutzungen gefragt.

Neben Kreativität und anpackenden Händen braucht es für all das Unterstützung der öffentlichen Hand. Kommunen und Planer/innen sollten Orte bereitstellen, an denen Versorgung und soziales Dorfleben kombiniert werden können. Gut und barrierefrei erreichbar in integrierter Lage und offen für alle, die eine Idee haben und soziale Teilhabe fördern.

Um Lebensmittelproduktion wieder näher an die Menschen zu bringen und ressourcenschonender zu gestalten, braucht es zudem ein Umdenken bei Verpachtung und Verkauf von Landwirtschaftsflächen hin zu gemeinwohlorientierten Kriterien.

Das (Selbst-)Verständnis von dörflicher Infrastruktur muss erweitert werden. Neben Straßen, Bänken und Spielplätzen sollte dies auch Anger, Acker und Raum zum Ausprobieren umfassen.

Positive Beispiele

  • Selbstorganisierter Dorfladen in Flegessen: www.suentellaedchen.de
  • Altes Backhaus als Café / Laden und soziokulturelles Zentrum in Groß-Altenstädten: www.backhaus-gross-altenstaedten.de
  • Belebte Verteilstationen im Delitzscher Land: www.allmendeverein.de/belebte-verteilstation/

Zum Weiterlesen

  • Landesverband Regionalbewegung NRW e. V (Hrsg.) (2022): Regionalitätsstrategie NRW. Zukunftschancen für Regionalvermarktung, Biodiversität, Landwirtschaft und Lebensmittelhandwerk.
    https://www.regionalbewegung.de/fileadmin/user_upload/pdf/pdf_nrw/Final_Regionalitaetsstrategie_NRW__.pdf (03.05.2023).
  • AbL – Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e. V. (Hrsg.) (2022): Gemeinwohlorientierte Verpachtung. Positionspapier. Hamm/Westfalen.

Postwachstum in ländlichen Räumen – Visionen für die kommunale Wirtschaftsförderung (Valentina Schuster)

Andere Gewerbegebiete braucht „das Land“

Warum muss das Umland mit riesigen grauen Hallen zugepflastert werden, wenn die Wirtschaft gefördert werden soll? Wie können es Kommunen durch kluge Wirtschaftsförderung schaffen, ihren verhängnisvollen Flächenfraß in den Griff zu bekommen?

Ländlich normal?! Gewerbegebiete auf Kosten anderer

Wenn Kommunen die Wirtschaft fördern, dann kommen meist einstöckige graue Zweckbauten heraus, gesäumt von Parkplätzen. Besonders finanzschwache Kommunen in ländlichen Regionen verweisen auf die Konkurrenzsituation mit Nachbarkommunen und lehnen daher kein Investitionsangebot ab. Diese Art der Wirtschaftsförderung hat einen hohen Preis – fruchtbare Ackerböden werden versiegelt, Lebensräume für Tiere und Insekten zerstört, neue Straßen führen zu noch mehr Autos, Lastwagen und Folgekosten für die nächsten Jahrzehnte. Auch der finanzielle Nutzen ist nicht immer gegeben: Durch den Finanzausgleich können sich neue Gewerbegebiete negativ auf den kommunalen Haushalt auswirken.

Wachstumskritik: Wie konventionelle Wirtschaftsförderung und Wachstumsfixierung zusammenhängen

Oft heißt es, diese Form der kommunalen Wirtschaftsförderung sei alternativlos, weil sie für das Lebenselixier unserer Gesellschaft – Wirtschaftswachstum – sorgen würde. Leider ist das gleich auf zwei Ebenen falsch: Zum einen gibt es keinen wissenschaftlichen Beweis für diese These. Wenn die Gewerbe- und Industrieflächen wachsen, gilt das Gleiche nicht unbedingt für die regionale Bevölkerung und Wirtschaft. Auch in wirtschaftlich stagnierenden oder sogar schrumpfenden Regionen steigt häufig der Flächenverbrauch für gewerbliche Nutzungen.

Zum anderen wird dabei übersehen, dass Wirtschaftswachstum per se kein Garant für ein gelingendes Leben in einer Gemeinde ist. Viel wichtiger sind den meisten Bewohnerinnen und Bewohnern Räume für soziale Beziehungen, Selbstbestimmung und Gesundheit, funktionierende Infrastrukturen – dies lässt sich alles ohne weiteres (Flächen-)Wachstum realisieren. Darüber hinaus verkennt die Steigerungsidee, dass wir einen räumlich begrenzten Planeten bewohnen – und wir schon allein aus diesem Grund nicht unbegrenzt neue Flächen versiegeln dürfen.

Denk- und Machanstöße: Eine andere Wirtschaftsförderung ist möglich und machbar

Wo die sogenannte Alternativlosigkeit hochgehalten wird, sind freilich Alternativen nicht weit: Die „Wirtschaftsförderung 4.0“ sorgt in Städten, Dörfern und ihrem Umland für eine Steigerung der regionalen Wertschöpfung und Innovationskraft. Wirtschaft ist dabei mehr als Unternehmen: private und öffentliche Haushalte, Vereine und soziale Initiativen werden dabei ebenso berücksichtigt und systematisch gefördert. Zum Beispiel werden Nischeninitiativen wie Repair-Cafés oder Solidarische Landwirtschaft gezielt unterstützt, um ihre Reichweite zu vergrößern oder Netzwerke aufzubauen. Der Anspruch ist hierbei eine Förderung der verschiedenen Facetten wirtschaftlichen Handelns: Herstellung von Gütern, Vertrieb und Tausch, Konsum, Umlauf, Verteilung und Recycling.

Um die Wirtschaft – auch die Produktion – wieder stärker mit Dorfzentren, Innenstädten und Wohngebieten zu verknüpfen, braucht es die Erstellung und konsequente, kontinuierliche Pflege eines Baulücken- und Branchenkatasters in Innenbereichen bzw. städtebaulich integrierten Lagen. Dabei ist die direkte Kommunikation durch die kommunale Planung und proaktive Ansprache der Eigentümer/innen von potenziell infrage kommenden Parzellen besonders wichtig. So kann sichergestellt werden, dass Infrastruktur- und Erschließungskosten für die Gemeinde langfristig tragbar sind, die Siedlungsfläche kompakt bleibt und brachliegende Flächen weiterverwendet werden.

Zuletzt müssen Landesplanung und Raumordnung diese Ansätze „normalisieren“, d. h. messbar machen. Verbindliche Vorgaben zur Flächenneuinanspruchnahme aller Gemeinden und Städte des jeweiligen Bundeslandes könnten dabei den Rahmen für zukünftige Gewerbegebietsentwicklungen setzen. Dabei könnten etwa schrittweise – gegensätzlich zur Entwicklung der CO2-Steuer – Absenkungen in der Neuinanspruchnahme von Siedlungs- und Verkehrsfläche festgelegt werden, um den kommunalen Handlungskorridor konkret sicht- und somit planbar zu machen. Denn bisherige verbindliche Regelungen in Form von Zielen der Raumordnung dazu finden sich in Landesentwicklungsplänen bzw. Landesentwicklungsprogrammen (je nach Flächen-Bundesland) kaum. Die Verknüpfung des 30-Hektar-Ziels der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie mit dem Handeln von Kommunen muss auf Landesebene in die Wege geleitet werden: Erste Vorschläge in diese Richtung wurden bislang beispielsweise im bayrischen Landtag debattiert.

Positive Beispiele

  • Wirtschaftsförderung 4.0 in Witzenhausen (Hessen): https://www.witzenhausen2030.de/wirtschaftsfoerderungvierpunktnull
  • Flächen zu reduzierten Preisen, wenn zusätzliche Nachhaltigkeitsmaßnahmen umgesetzt werden, bietet Bocholt (NRW): https://www.bocholt.de/wirtschaft/gewerbeflaechenimmobilien/gewerbegebiete/nachhaltige-gewerbeflaechenentwicklung/
  • Klimaneutrales Gewerbegebiet in Holzbauweise auf dem ehem. Gelände eines Textilunternehmens, der Lauffenmühle in Lörrach (Baden-Württemberg): https://www.loerrach.de/bauprojekte/Lauffenmuehle
  • Urbane Produktion Ruhr: https://urbaneproduktion.ruhr/

Zum Weiterlesen

  • Aktion Fläche (2019): Flächensparende Industrie- und Gewerbeentwicklung.
    https://aktion-flaeche.de/flaechensparende-industrie-und-gewerbeentwicklung (03.05.2023).
  • Difu – Deutsches Institut für Urbanistik (Hrsg.) (2021): Innovationsfähigkeit der Wirtschaftsförderung. Akteure – Instrumente – Handlungsansätze. Gemeinschaftsstudie. Berlin.
    https://repository.difu.de/jspui/bitstream/difu/582355/1/Difu_SV_Innovative_Wifoe_Gesamt.pdf (03.05.2023).
  • Junges Forum der ARL (2021): Themenabende des Jungen Forums der ARL zum Thema „Gewerbegebiete und regionale Steuermodelle der Zukunft“.
    https://www.arl-net.de/system/files/Zusammenfassung_ARLJF_Themenabend_Gewerbe_final%20%28004%29.pdf (03.05.2023).
    https://www.arl-net.de/system/files/JF-Themenabend_GewerbegebieteI_Deutschland.pdf (03.05.2023).
  • Erhardt, C. (2019): Finanzausgleich: Wenn mehr Einnahmen zu Verlusten führen. In: Kommunal, 13.03.2019.
    https://kommunal.de/finanzen-gewerbegebiet (03.05.2023).
  • Kopatz, M. (2021): Wirtschaft ist mehr. Wachstumsstrategien für nachhaltige Geschäftsmodelle in der Region. München.
  • Bayrischer Landtag (2019): Gesetzentwurf zur Änderung des Bayerischen Landesplanungsgesetzes. Nachhaltige Flächennutzung durch ein verbindliches 5-Hektar-Ziel. Drucksache 18/3037.
    http://www1.bayern.landtag.de/www/ElanTextAblage_WP18/Drucksachen/Basisdrucksachen/0000002000/0000002272.pdf (03.05.2023).

Postwachstum in ländlichen Räumen – Wohnvisionen (Valentina Schuster)

Zukunft schonen, anders wohnen (und planen)

Wie können zukunftsfähige und klimaverträgliche Wohnformen in ländlichen Räumen aussehen und planerisch gefördert werden?

Ländlich normal?! Einfamilienhäuser auf der grünen Wiese verschärfen die sozial-ökologische Krise

Der Traum vom und die Planung für das Einfamilienhaus schafft Wohnraum für wenige und Probleme für viele. Von Energieverbrauch bis Flächenfraß – zwar mag es sich für einige wenige nach einem Gewinn anfühlen, direkt oder indirekt leiden jedoch alle unter den sozial-ökologischen Schäden von Eigenheimsiedlungen. Erholungsgebiete gehen verloren, die Zersiedelung nimmt zu, neue Straßen werden gebaut, mehr Autos rollen. Die Versiegelung führt zu einer Verschärfung der ohnehin bestehenden Flächenkonflikte.

Oftmals wird trotz Leerstand in Ortszentren oder in Nachbarkommunen grünes Licht für weitere Neubaugebiete gegeben. Dadurch wird die Verödung der Ortskerne und der Rückgang des sozialen Lebens vorangetrieben. Und obwohl das Wohnmodell „Einfamilienhaus“ boomt, fehlt es an erschwinglichem Wohnraum und besonders auch Wohnraum, der andere Formen des Zusammenlebens ermöglicht.

Während Senior*innen nach Auszug der Kinder in überdimensionierten Häusern wohnen, suchen junge Familien und andere Menschen nach passendem Wohnraum. Ungenutzter Wohn- und Lebensraum kann nicht nur das Gefühl der Einsamkeit fördern, auch die Instandhaltung kann zu finanzieller und persönlicher Überlastung führen – ganz ungeachtet vom steigenden Energieverbrauch pro Kopf. Die planerische Antwort auf das Dilemma: neue Baugebiete werden ausgewiesen.

Wachstumskritik: Wohntraum und planerischer Dauerbrenner – das Einfamilienhaus

Kommunen befinden sich in einem ständigen Wettbewerb um Einwohner*innen und Gewerbe mit anderen Gemeinden. Sie sind abhängig vom Zuzug junger Menschen und den verbundenen Steuereinnahmen. Der kommunale Finanzausgleich stellt somit einen Wachstumszwang dar, der häufig zur Ausweisung neuer Baugebiete, dem Ausverkauf von Flächen und des sozialen Lebens und damit zu nicht nachhaltigen Planungspraktiken führt.

Darüber hinaus heizen sich der kulturell vorherrschende Traum vom Einfamilienhaus und die Ausschreibung neuer Baugebiete gegenseitig an – eine planerische und kulturelle Wachstumsspirale.

Mietpreissteigerungen, Marktabhängigkeiten und der Abbau staatlicher Altersvorsorge in städtischen und ländlichen Räumen tun ihr Übriges: Wieso exorbitante Mieten zahlen, wenn ich vom gleichen Geld Eigentum und damit vermeintliche Sicherheit erwerben kann? Natürlich nur eine Versuchung für all jene, die die finanziellen und persönlichen Voraussetzungen mitbringen.

Denk und Machanstöße: Kollektiver statt privater Luxus – zukunftsorientierte Wohnformen schaffen

Zukunftsfähiges Wohnen und Leben kann und muss viele Gesichter haben – genauso vielfältig, dynamisch und attraktiv müssen Planung und Kommunalentwicklung aussehen. Von Wohngemeinschaften und anderen flächensparenden Wohnformen bis hin zur Umnutzung, Umgestaltung und Sanierung von Bestandsbauten – der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Ziel sollte sein, dass Wohnraum geschaffen, Wohnfläche und Energieverbrauch pro Kopf gesenkt und die Lebensqualität und -sicherheit gestärkt werden. Es braucht kluge Anreiz- und Tauschsysteme, die einen Wechsel zu einem an die jeweilige Lebenssituation angepassten Wohnmodell ermöglichen und fördern. Der Tausch eines Einfamilienhauses gegen eine zentral gelegene, bezahlbare Wohnung oder Konzepte wie „Wohnen für Hilfe“, Wohngemeinschaften für Senior*innen, Hausgemeinschaften, aber auch private Wohnungen mit mehr gemeinschaftlich genutzten Räumen und Flächen könnten Modelle für die Zukunft sein.

Es geht nicht nur darum Fläche zu sparen, sondern auch Wachstums- und Marktabhängigkeiten durch erschwingliche Wohnformen zu reduzieren und so mehr Lebenssicherheit für alle zu schaffen. Die Förderung von kollektiven Wohnformen und einer Entkommerzialisierung von Wohnraum ist daher genauso Teil postwachstumsorientierter Planung wie ökologisches Bauen.

Der individuelle Flächenverbrauch könnte zudem durch mehr kollektiv genutzte Räume gesenkt werden – Werkstätten, Büros, Gärten, Waschsalons. Öffentliche Räume für Kunst, Kultur und gemeinschaftliche Praktiken können auch das soziale Gefüge stärken. Zudem reduziert das Teilen von Gütern und Räumen den Druck, alles allein erwirtschaften zu müssen – also smarte Planung für mehr Lebenszeit statt Lohnarbeit.

Positive Beispiele

  • Projekt OptiWohn – inkl. Fallbeispiele für alternatives, flächensparendes Wohnen in städtischen und ländlichen Räumen: wohnen-optimieren.de/
  • Projekt LebensRäume des Kreises Steinfurt
  • Leerstandsmatching-Format des Netzwerks Zukunftsorte: land/_kommunale-projekte

Zum Weiterlesen

BUND – Friends of the Earth Germany (2022): Flächenverbrauch bekämpfen: Keine neuen Versiegelungen zulassen.
www.bund.net/lebensraeume/flaechenverbrauch/ (03.05.2023).

Hülz, M.; Mayer, A.; Sondermann, M. (2020): Vom Blumenkübel zur Bürgerbewegung. Planungskulturen im Wandel. In: politische ökologie 160, 47-52.

Lindenthal, J.; Mraz, G. (2017): Das Zukunftspotenzial von bestehenden Einfamilienhaus-Siedlungen im ländlichen Raum. In: Zeitschrift für Kulturwissenschaften 11, 149-170.

Naumann, M.; Mießner, M. (2020): Nachhaltiges Wohnen auf dem Dorf? In: sub\urban 8 (1/2).
https://zeitschrift-suburban.de/sys/index.php/suburban/article/view/580/824 (03.05.2023).

Pütz, M. (2020): Über den Kirchturm hinaus. Postwachstum in Regionen. In: politische ökologie 160, 34-40.

Siedle, J.; Fuhrhop, D. (2021): Flächensparendes Wohnen for Future.
https://www.postwachstum.de/flaechensparendes-wohnen-for-future-20210115 (03.05.2023).

[1] Nobis, Claudia und Kuhnimhof, Tobias (2018): Mobilität in Deutschland – MiD-Ergebnisbericht. Studie von infas, DLR, IVT und infas 360 im Auftrag des Bundesministers für Verkehr und DIgitale Infrastruktur. Bonn, Berlin. www.mobilitaet-in-deutschland.de

 

* Mitglieder der AG des Jungen Forums der ARL “Postwachstum in ländlichen Räumen” (2020-2023). Mitarbeit und Hinweise: Toya Engel, Jens Moggert, Swantje Probst, Benedikt Schmid